Handschellen und die Schlüssel dazu

Ein erster Eindruck von “BONDING”

[CN: BDSM, Missbrauch, übergriffige Tops, unbeachtete Safewords]

Ich melde mich auch mal wieder zu Wort und muss dringend meine two cents zu BONDING loswerden. Genauer gesagt: Zur ersten Folge. Weiter bin ich nicht gekommen, und doch werde ich etwas dazu schreiben: Denn ich betrachte sie als Aushängeschild dafür, was die meisten Menschen zu sehen bekommen – Vanillas, die dann doch abschalten, und kinky Menschen, die danach vermutlich genug haben. Denn what the fuck did I just watch?

Die Serie wird zur Zeit mit viel Schwung von Netflix gehyped, bis zum Punkt eines eigenen Twitter-Accounts für Misstress May, die fiktive Sexarbeiterin im Zentrum der Serie (was super ironisch und scheiße in Bezug auf all die von Twitter gesperrten Accounts von actual Sexarbeitenden ist). Und damit hat sie eben auch einen verdammt großen Einfluss auf Vanillas, die das dann als „Einblick in diese verbotene Szene“ betrachten, sowohl bezogen auf Sexarbeit (aber dazu kann ich als nicht Betroffene eben nicht so viel sagen) als auch auf Kink. Deshalb sollte sie schon einigen Ansprüchen genügen – gerade auch als Eigenproduktion von Netflix. Ja, das tun auch viele andere Produktionen nicht, aber in einer idealen Welt wäre es so. Und tatsächlich war ich so naiv, darauf zu hoffen.

Consent works both ways

Was ich bekommen habe, war sehr anders als meine Erwartungen. Einerseits gab es einen tatsächlich auf den ersten Blick humorvollen Einblick in den Alltag einer Sexarbeiterin – was mich ganz am Anfang gar positiv überrascht hat und auf mehr Humor hoffen ließ, den kinky Menschen vielleicht auch aktiv witzig finden könnten. Aber da war immer noch dieser miese Aufhänger im Trailer (Runterzählen ohne Ausweg? What the fuck?) – und das Lachen über die Insider blieb mir eben auch sehr schnell im Hals stecken. Zu schnell ging es mit super miesen weiteren Szenen über, in denen Safewords zwar thematisiert wurden, aber eben immer nur für Klienten galten. Pete sagt bereits an seinem zweiten gezeigten Arbeitstag, der anscheinend direkt eine Entführung ist (!), mehrfach Nein und will das Ganze beenden, aber Tiffany nimmt das einfach nicht ernst. Gleichzeitig wird Minuten später thematisiert, dass das Safeword des Kunden dann doch erhört wird – aber das ist nur nötig, weil Tiffany trotz einer gefährlichen Pose nicht auf ihn geachtet hat und stattdessen (nach einem abgewiegelten Nein!) lieber mit all ihrer Aufmerksamkeit Pete (!) ausschimpfen (!) musste.

Dass Pete als dominanter Part gegenüber den Kunden von Tiffany dabei immer wieder zu Dingen gezwungen wird, wird außerdem klar als witzig dargestellt. Dazu werden immer wieder Verbindungen zur Notwendigkeit gezogen, dass er das tun muss. Und ja, dass er das generell tut, obwohl er es nicht soo cool findet, ist im Kapitalismus verdammt valide. Dass er dabei dauernd Safewords von seiner Chefin ignoriert bekommt, ist übergriffiger Bullshit. Und ganz nebenbei bringt es mal wieder dem Publikum von unerfahrenen kinky Menschen und Vanillas bei, dass Safewords, wenn sie denn überhaupt ein Ding sind, anscheinend nur für Subs und passive Partner*innen gelten.

Queerfeindlichkeit als Witz

Dazu kommt diese eklige Queerfeindlichkeit. Pete als „schwuler bester Freund“, der natürlich mal eben stellvertretend für alle queeren Menschen fertiggemacht werden kann und darüber lachen muss, denn es kommt ja vom Hauptmieter, von dem er abhängig ist. Außerdem ist es natürlich kein Problem, wenn Pete mit Kunden interagiert und sich dabei unwohl fühlt, weil sie teilweise anscheinend nicht wissen, dass er nicht heterosexuell ist. Und dann verwendet Tiffany es als Ausrede, lesbisch zu sein – was gegenüber miesen Typen einerseits manchmal nötig ist, andererseits stößt es mir umso mehr auf, wenn sie dann großen Wert darauf legt, einwandfrei zu klären, dass sie es ja doch nicht ist. Lauter kleine Momente, die im Zusammenhang der meisten Medien um uns herum kaum noch auffallen – aber eben doch wehtun, besonders bei meinen größeren Erwartungen an diese Serie.

BONDING, Netflix und ich

Ich habe das Bedürfnis, diese Serie in den Müll zu treten – und am meisten bin ich davon schockiert, dass mir das Ausmaß der gefährlichen Darstellungen erst klar wurde, als ich einmal darüber geschlafen habe. Direkt nach dem Ansehen schien das alles noch besser. Ich bin noch nicht sicher, ob ich einfach zu sehr in dieser Subkultur (Ha!) hänge und den Mist einfach schon gewohnt bin. Aber vielleicht habe ich diesen Mist eben auch internalisiert. Vermutlich beides.

Das zeigt aber auch nur, wie wichtig eine andere Darstellung wäre. Und hier gab es so eine große Plattform, so eine große Chance.

Tja. Diese Chance hat Netflix jetzt definitiv vertan. Bis zu dem Punkt, an dem ich mir überlege, ob ich diese Firma wirklich noch mit Geld bewerfen sollte.