Hände von mehreren Menschen, die übereinander liegen - vor einem bunden Hintergrund

Blut ist dicker als Wasser? Freiwillige Verbindungen sind stärker als erzwungene!

[Content Notice: Familie, Tod, Verstoß aus der Familie]

Wir haben Anfang März, auch wenn es sich beim momentanen Wetter nicht so anfühlt. Aber auch ein Gefühl des Frühlings kann leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass er gerade erst begonnen hat. Für viele bedeutet das eklige Pollen, für andere mehr Sonne und damit mehr Energie. Und für die, von uns, die Kontakt zu ihrer Familie haben, bedeutet das die ersten Nachfragen nach Terminen im Sommer, für Hochzeiten, runde Geburtstage oder runde Hochzeitstage (aber ja mono, hetero und nicht geschieden soll es sein, sonst wäre das ja eine „besondere Feier“, die auch anders heißen müsste).

Tatsächlich ist es bei meiner großen Verwandtschaft verbreitet, schon so früh Pläne zu machen. Und: Bei dem Teil meines Umfelds, wo große oder zumindest nahe Familienbande verbreitet sind, fragen wir uns auch untereinander aus, was ansteht. Das bin ich so sehr gewohnt, dass ich eine Weile alle Menschen in meinem Umfeld danach gefragt habe.

Beschissene Idee. Denn inzwischen weiß ich, dass ich nicht nur in dieser Phase Freund*innen verletzt habe, sondern auch davor schon. Ja, das Problem von Familien, die Freund*innen mehr oder weniger verstoßen hatten, weil sie queer waren, war neu. Dass kaum noch Menschen am Leben oder die verbliebenen übelst zerstritten waren, nicht. Ich hatte nur nie die Augen geöffnet und mir das klargemacht.

Blood is thicker than water

… ist in meiner Familie ein völlig selbstverständliches Prinzip. Wir sehen uns fast alle zu allen großen Festen (siehe oben), und so kommen gern mal 100 oder 200 Menschen auf einer Hochzeit zusammen. Diese großen Zahlen kommen auch durchs zweite Prinzip zustande: alte, bewährte Freundschaften sind bei solchen großen Events dabei, genauso wie feste Beziehungen. Von allen, auch von Teenagern, wenn die Beteiligten das möchten. Und: Anders als in anderen Familien, bei deren Festen ich war, gelten diese Partnerpersonen trotz des Prinzips, dass Familie wichtiger ist als der Outer Circle, als Teil dieses Inner Circles. Teilweise, bis die Beziehung vorbei ist, teilweise aber auch länger (was mir an meiner Familie unglaublich gut gefällt).

Und eigentlich ist auch alles verdammt entspannt bei meiner Familie – trotzdem habe ich mich sehr entfernt, fast versteckt und von vielen Feiern ferngehalten, als ich festgestellt habe, dass ich pansexuell und -romantisch bin und polyamor liebe. Dass sich das gegenüber meiner direkten Familie (meinen Eltern und den Menschen, die mir sehr wichtig sind) geändert hat, ist teilweise besonderen Umständen geschuldet, in denen ich das nicht mehr geheim halten wollte, und teilweise langsamer Änderung von deren Seite, die mich neues Vertrauen fassen ließ. Auch, weil solche Outings ja nur dann gut funktionieren, wenn ich mir sicher bin, bei diesen Menschen sicher zu sein. Leider.

Die genaue Form des oben zitierten Spruchs war lange umstritten (weil beide folgenden Formen verbreitet sind), aber langsam gewinnen die Linguistikforschenden die Oberhand, die der Meinung sind, der oben zitierte Spruch würde nicht für sich allein stehen. Ihrer Meinung und Forschung nach gehört in seiner ursprünglichen Fassung ein zweiter Teil dazu:

Blood is thicker than water but the blood of the covenant is thicker than the water in the womb.

Das bringt das Zitat ja zu einer völlig anderen Aussage! Auf einmal werden selbstgewählte Beziehungen über die aus Verwandtschaften gestellt. Ich habe früh davon gelesen und habe mich im ersten Moment davon gedrängt gefühlt, Verwandtschaftsbeziehungen aus Prinzip nicht mehr wichtig zu nehmen oder mich stärker abzugrenzen, auch von den guten Menschen. Aber das war hier ja nie gemeint. Und nur über diesen Gedanken kam ich zu dem Schluss, dass natürlich auch bereits durch Verwandtschaft bestehende Beziehungen zu selbstgewählten werden können – wenn sich gerade die privilegiertere Seite, oft eine Elterngeneration, nicht aufdrängt, sondern Raum lässt. Und gerade bei Betroffenen von Diskriminierung mehr zuhört als sich selbst ins Zentrum von allem zu stellen (was übrigens alle Allies tun sollten).

Ich glaube, ich habe mich erst dann wirklich wieder meiner Familie zugewandt und anvertraut, als ich sie nicht mehr brauchte. Selbstgewählte Beziehungen auf Augenhöhe mit gemeinsamer Reflektion von vorhandenen Privilegiengefällen und eventuellen Abhängigkeitsverhältnissen sind eben besser. Fordert das für euch ein. Ihr verdient nichts anderes.

[Bild von jarmoluk auf Pixabay]