Einheit unter wenigen

Ein Einwurf zum Tag der Deutschen Einheit, ursprünglich am 03.10.2018 auf Tumblr veröffentlicht.

(Content Notice: Rassismus, Nazis, Nazigewalt, NSU, Polizei, Polizeigewalt)

Manchmal versinke ich so sehr in meinem Studium, das nur semiverlässlich einen Rahmen für meinen Zeitplan gibt, dass ich das Datum nicht sagen könnte. Meistens habe ich aber einen groben Rahmen und kenne einen wichtigen Tag im Umfeld des aktuellen Datums, zum Beispiel Geburtstage und Feiertage, und kann dann rechnen.

Den Tag der Deutschen Einheit werde ich nie verpassen. Mit den vielen Lobhymnen auf den Patriotismus, die gesammelten Flaggen von der letzten Fußballweltmeisterschaft und den unglaublichen Kommentaren ist der ja selbst für mich als weiße Person nicht mehr zu übersehen (und PoCs müssen ja leider bei den entstehenden Gefahren noch mehr auf diesen Tag achten). Es ist einer der schlimmsten und unangenehmsten Tage des Jahres für mich, zumindest seitdem ich verstanden habe, was er für PoCs bedeutet, wie er Nazis stärkt und was das für ein verdammter Mist ist, dass die Feierlichkeiten dazu immer ausufernder werden.

Der Tag der Deutschen Einheit ist der Tag, an dem es auf einmal wieder völlig okay ist zu sagen, dass Deutschland seine „dunkle Vergangenheit“ ja „völlig überwunden hat“ und man „doch endlich mal anfangen muss, von den Erfolgen zu sprechen“. Welche Erfolge? Wer auch nur eine winzige Minute nimmt, um mal über den Tellerrand des verheirateten weißen cis Mittelstandes herauszublicken, sieht eine ganz andere Welt. Die letzten Jahre haben vor allem mit dem NSU-Prozess geschafft, dass immerhin mal weniger als die absolute Minderheit der weißen Mitte eine Vorstellung von rechtem Terror bekommen hat. Und das ist ein Armutszeugnis, denn es hätte viel früher so sein müssen und vor allem hätte von Anfang an den großen Gruppen der protestierenden Angehörigen geglaubt werden müssen, die wussten, dass ein System hinter diesen Morden steckt.

Der Tag der Deutschen Einheit ist der Tag, an dem immer wieder darauf hingewiesen wird, dass die Menschen aus dem West- und Ostteil jetzt ja gleichberechtigt sind und dabei auch gleich eine weitere Ebene davon hinzugezogen wird, dass jetzt ja auch alle Menschen gleichberechtigt sind und in Deutschland gut und friedlich zusammenleben können. Es ist die letzten Jahre gesagt worden, nach dem Beginn des NSU-Terrors und nach brennenden Wohnhäusern von Asylbewerber*innen. Es wird auch dieses Jahr wieder gesagt werden, nach dem Ende des NSU-Prozesses, das Nazis im Saal laut jubeln ließ, weil sie einen weiteren Beweis für die Verbundenheit von Polizei und Justiz gegenüber ihnen und ihrer Sache bekommen hatten. Es wird auch nach den Ausschreitungen der rechten Demos dieses Jahres gesagt werden, bei denen PoCs wie von der AfD beim Einzug in den Bundestag angekündigt durch die Straßen gejagt wurden, während die Polizei nicht nur in Unterzahl war, sondern auch trotzdem nicht versuchte, sich einzumischen, was sie bei linken Protesten und Angriffe auf Autos zweifellos getan hätte.

Wir machen einen riesigen Schritt zurück in der Diskussionskultur, weil auf einmal wieder noch rassistischere Parolen salonfähig werden, als sie es vorher ohnehin schon waren. Aber so, wie Deutschland sich an diesem Tag beschreibt, war es nie, und es hat sich auch nie in diese Richtung bewegt. Das wissen PoCs schon lange, und das müssen weiße Menschen, gerade aus der linken Ecke, endlich auch anerkennen und dafür kämpfen, dass es anders wird.

Und verschont mich damit, dass sich doch „zumindest die (weißen) Deutschen untereinander einig geworden sind“. Erstens ist das ein beschissener und überhaupt nicht erstrebenswerter Zustand, wenn er Rassismus toleriert und PoCs grundsätzlich nicht mitdenkt. Zweitens zeigt doch gerade die Polizei und ihre momentane Art, mit Protestierenden umzugehen, dass es da so tiefe Spaltungen gibt, dass sie sogar zu solchen Konfrontationen kommt.

Der Tag der Deutschen Einheit ist immer einer, an dem die offene Grenze betont wird. Wie lächerlich das beim momentanen Stand der deutschen und europäischen Außengrenzen ist, muss ich nicht mehr schreiben. Aber spannend ist, dass Deutschland eine Chance hätte, all die leeren Worte wahr zu machen, die an diesem Tag immer in der Luft hängen über eine Gemeinschaft der Menschen, die sich über „gemeinsame Werte der Freiheit und Würde“ verbinden.

An diesem Tag sollten Ressourcen für Studien über und Aktionen gegen Rassismus bereitgestellt und die Strafen verschärft werden. An diesem Tag sollten endlich die AfD und auch „unwichtige“ andere rechte und menschenverachtende Parteien verboten werden. An diesem Tag sollte die Polizei stärkerer Kontrolle unterworfen werden, die Kennzeichnungspflicht sollte auch in allen bisher unbetroffenen Belangen eingeführt und besser durchgesetzt werden und friedlicher Protest sollte unter Straffreiheit gestellt werden. An diesem Tag sollten die Öffnung der Grenzen und die verbindliche und unbürokratische Aufnahme aller Geflüchteten garantiert werden. Nur dann wäre es irgendein „Tag der Einheit“ (und dass der dann noch von Deutschland gelöst und Deutschland als Konzept abgeschafft werden muss, ist Stoff für einen eigenen Text).

So ist es halt ein Tag der deutschen Abspaltung. So ein Mist, schade um die Banner, die waren ja schon bedruckt.