[Writing] About Us: Polyamorie und Beziehungsanarchie

Etwas verspätet bekommt ihr nun auch meinen Beitrag zu [Writing] About Us zu sehen. Die Aktion wurde von Alex ins Leben gerufen und auf xierem Blog findet ihr auch den ursprünglichen Beitrag und den Aufruf. Unten habe ich die anderen teilnehmenden Beiträge der Aktion verlinkt.

[CN Mononormativität, Polyfeindlichkeit, Homofeindlichkeit, Spoiler für You Me Her]

[Writing] About Us beschäftigt sich in erster Linie mit dem Schreiben – mit den Wünschen nach bestimmter Repräsentation in Büchern. Das ist nicht wirklich die Richtung von diesem Blog, aber ich habe mich entschieden, trotzdem etwas dazu zu schreiben. Immerhin lese ich sehr gerne, und mein Wissen über die Poly-Community und mein Platz darin hat mein Leseerlebnis definitiv verändert.

Meine Position

Zunächst zu mir: Ich schreibe diesen Artikel und lese meine Bücher aus der Position einer polyamoren, pansexuellen und -romantischen weißen cis Frau, die vor etwa einem Jahr auch in Richtung Beziehungsanarchie gestolpert ist und seitdem beides in ihrem Leben hat. Für die fragenden Gesichter: Ja, das geht. Beziehungsanarchie beruht (für die meisten Menschen) darauf, dass jede zwischenmenschliche Beziehung ihre eigenen einzelnen Eigenschaften anerkannt bekommt und Absprachen dafür getroffen werden, ohne sich unter ein Label wie (romantische) Beziehung oder Freundschaft zu stellen und unhinterfragt Dinge voneinander erwartet und Verpflichtungen gegenüber fühlt oder eingeht. So etwas zu tun, ist eben auch eine Art von (zwischenmenschlicher) Beziehung – und das habe ich mit manchen Menschen, und Beziehungen mit anderen. Und ja, beides ist entsetzlich wenig in dem Inhalt vertreten, den ich so lese, auch wenn ich langsam, aber sicher wegkomme vom geschlossenen Kanon der Klassiker und Bestseller.

Ich kann außerdem als Leserin nicht so gut beurteilen, wie es mit weiterer intersektionaler Repräsentation aussieht, da ich weiß, cis, abled und neurotypisch bin. Solche weiteren Überschneidungen kann ich also nicht weiter bewerten und werde mich darauf beschränken, dass ich sie in der wenigen vorhandenen Repräsentation bisher gar nicht gesehen habe und das echt scheiße finde.

Was sehe ich für Repräsentation?

So. Ich habe damit abgesehen von meinen Beziehungsformen eine sehr privilegierte Position, was Repräsentation von mir in Büchern angeht. Ich möchte aber auch über Polyamorie und Beziehungsanarchie lesen und mich in solchen Geschichten wiederfinden und darin zu Hause fühlen. Und eigentlich wollte ich hier schreiben, was ich so von der bisherigen Repräsentation halte – aber mir fällt wirklich keine ordentliche ein. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich sehr wenig Romance lese, gerade aus Gründen dieser fehlenden Repräsentation. An dieser Stelle: Wenn ihr Titel mit vorhandener oder gar cooler bzw. gelungener Repräsentation kennt, weist mich sehr gerne darauf hin! Ich bin euch unglaublich dankbar!

Ich glaube, das einzige erstaunlich populäre Beispiel von Repräsentation findet sich nicht in der Literatur, sondern in der Netflix-Serie „You Me Her“. Während die Serie einerseits von vielen Außenstehenden für gelungene und endlich mal vorhandene Repräsentation von Polyamorie gefeiert wird, fällen die meisten Betroffenen ein kritischeres Urteil. Ich habe auch lange sehr begeistert geschaut – meine Kritik habe ich aber wahrscheinlich deshalb unterdrückt, weil ich in die üble Falle von „Wenigstens gibt es irgendeine Repräsentation“ getappt bin.

Dabei ist diese Serie ein klassischer Fall von Repräsentation für die „Augen“ und den „Blick“ Außenstehzender – tatsächlich fiel in meinem Umfeld vereinzelt der Begriff „mono gaze“. Das Polycule in der Serie beschränkt sich auf eine Triade, die aus einem etablierten Paar und einer jungen Studentin besteht. Dabei ist das Paar schon sehr lange zusammen, die beiden fangen mit diesem Thema ohnehin nur aus Frustration über ihre aktuelle Situation und einen unerfüllten Kinderwunsch an – und lernen Izzy, die Dritte im Bunde, darüber kennen, dass sie Sexarbeiterin ist, Jack sie bucht und Emma sich dann mit ihr treffen will, um zu erfahren, was an ihr ihren Mann interessiert hat (und daraufhin verknallen sich alle Beteiligten ineinander). Schon die Situation des Kennenlernens der drei ist also voller Klischees – die darüber hinaus an allen Ecken und Enden weitergeführt werden.

Die drei bleiben nach außen eine geschlossene Triade. Emmas Bisexualität kommt erst plötzlich heraus, als sie Jack die Anziehung zu Izzy gesteht. Jack wird davon in eine tiefe Krise seiner Männlichkeit gestürzt und bekommt seine internalisierte Homofeindlichkeit nur und auch ausschließlich für die beiden Frauen in den Griff, mit denen er gleichzeitig Sex haben kann. Eine ganze Zeit lang, eigentlich die gesamte relevante Zeit am Anfang, als sich langsam die Dinge finden, besteht die Beziehung als wirtschaftlicher Vertrag mit Izzy. Und als ständige Dritte wird Izzy schließlich immer und überall in allen Belangen benachteiligt, und das wird nur über einen zusätzlichen Plot darum aufgehoben – darüber, dass ein Relationship Escalator zu zweit abgebrochen und stattdessen in einen zu dritt verwandelt wird.

Ein paar Aspekte fand ich an der Serie aber auch gut umgesetzt. Das sind zum Beispiel die Art, wie die Gespräche umgesetzt wurden, wenn sie denn in der Serie endlich (viel zu spät) geführt wurden. Und die unglaublich überforderten Reaktionen der Nachbar*innen und Freund*innen, die Schwierigkeiten in der Öffentlichkeit beim Auftreten zu dritt und das Begegnen der Vorurteile, die aufkamen, wenn die Geschichte ihres Kennenlernens herauskam. Trotzdem vermittelt sie insgesamt einen sehr speziellen Blick auf die Poly-Community, und schadet ihr damit meiner Meinung nach.

Was würde ich mir für Repräsentation wünschen?

Nach einem Rant über die einzige größere Repräsentation sollte ich auch mal darauf eingehen, was ich mir denn eigentlich an Repräsentation von Polyamorie und Beziehungsanarchie wünsche. Und… es ist durchaus eine längere Liste vorhanden.

Ich wünsche mir Darstellungen davon, wie Mononormativität schmerzhaft wird. Wie Menschen abgesprochen wird, eine „echte“ Beziehung zu haben, nur weil es noch weitere gibt. Ich wünsche mir einen langsamen Weg von Freund*innen, die sich nicht abwenden, aber immer wieder verletzende Gedanken äußern oder sich weigern, selbst mal etwas herauszufinden, statt ständig Bildungsarbeit der Betroffenen in Anspruch zu nehmen. Und ich wünsche mir Darstellungen von sich unterstützenden Polys, die in einer bestehenden Community so durch ihre erste Zeit kommen. Keine abgeschlossenen, winzigen Konstrukte.

Ich wünsche mir gute und konkrete Kommunikation von allen Beteiligten. Darüber, wie sie sich die Beziehungen vorstellen, über Fehler bei Kommunikation und Erwartungen, die nicht sofort zu Trennungen, aber auch nicht sofort zu neuen Konzepten von Hochzeiten führen. Ich wünsche mir mehr Kommunikation und Reflexion von Privilegien der einzelnen Beteiligten einander gegenüber, und das darf sich gern auch mal auf sehr etablierte Beziehungen ausweiten, die durch neue Elemente in einem völlig neuen Licht stehen.

Vor allem wünsche ich mir aber mehr glückliche Geschichten abseits jener stereotypen geschlossenen Triade des Pärchens und des Unicorns. Und mehr Beispiele davon, die hinterfragt und in denen Privilegien reflektiert werden. Polycules mit Menschen, die nicht alle weiß, cis und binär sind. Ich möchte alltägliche Probleme von größeren Polycules sehen, die volle Pizzeria, die chaotische Planung, wo gegessen werden soll, die verschiedenen Meinungen nach einem Kinofilm. Die Terminplanung. Ich möchte mehr Geschichten aus meinem Leben sehen: Verwirrte Menschen an Kinokassen, die erst mir und Person A Kinokarten verkaufen und dann mir und Person B Popcorn. Ich möchte skeptische, aber verständliche Eltern sehen, so wie meine, ihren Versuch, sich die vielen Namen zu merken, und die langsamen Übergänge in ihrer sich verändernden Sprache. Einkäufe vor großen Familienfesten, bei denen auf einmal noch viel mehr Geschirr benötigt wird, weil eine Person ja doch nicht eine Begleitung hat, sondern vier. Ich möchte Geschichten über große Polycules mit verschiedenen Schattierungen von Polyamorie sehen, mit Primaries, Secondaries, einzelnen verheirateten Personen, wechselnder Priorisierung – und mit Beziehungsanarchie.

Beziehungsanarchie

Ja, bei all dem Ranten bin ich noch gar nicht dazu gekommen, dass sich die Repräsentation bisher nur auf Polyamorie beschränkt. Es gibt ab und an mal eine Geschichte über „Freundschaft Plus“ – die immer dazu verdammt zu sein scheint, schiefzugehen, weil eine der beteiligten Personen sich umentscheidet und eigentlich eine romantische Beziehung will. Im besten Fall tun das noch beide, und damit wird die Repräsentation wieder zu Repräsentation von romantischen monogamen Beziehungen. Ganze selten tauchen auch offene Beziehungen auf – aber auch das kenne ich nur bei absoluten Nebenfiguren, die damit dann die Quelle des immer neuen Dramas sind.

Also: Ich möchte auch mehr Figuren in Beziehungsanarchie. Ich will nicht die Einzige sein, die bei ihren Prosafiguren immer wieder Gespräche über den aktuellen Stand der (zwischenmenschlichen) Beziehung in den Plot schreibt und darüber auch den Plot bewegt, dass sich da manchmal etwas an den Erwartungen und Umständen ändert. Ich möchte mehr Figuren, die die vermeintliche Binärität von Freundschaft und romantischer Beziehung hinterfragen und sich dabei einen eigenen Platz dazwischen suchen, der sich für sie und die andere Person oder Personen gut anfühlt. Ich wünsche mir Figuren auf der Suche nach den richtigen Worten für eine wichtige andere Person, die unglaublich nah und eben doch nicht „die Freundin“ ist.

Ich möchte mehr Figuren, die einfach das suchen, was sich für sie richtig anfühlt.

 

Weitere Beiträge zur Aktion

Der einleitende Beitrag von Alex

Alex über Kindesmissbrauch

Serenity über Kindesmissbrauch

Amalia über Bisexualität

Peaches über Satanismus