Die plötzlichen Nachteile prekärer Wohnsituationen

(Content Notice: Depression, Polizei, Staatsanwaltschaft, Mobbing)

Ich wohne in Berlin. Einer der teuersten Städte in Deutschland, und sicher eine der extrem umkämpften. Was mich dazu brachte, doch auf jeden Fall hier zu studieren und was beschissen am generellen Zustand des fehlenden Wohnraums für so viele Menschen ist, könnte Bücher füllen und soll deshalb hier gar nicht mein Thema sein. Aber in den mehr als drei Jahren, die ich selbst mit meinen Bürgi-Kontakten (shame on me) für das Wunder einer unbefristeten Wohnung mit der Möglichkeit einer offiziellen Anmeldung gebraucht habe, habe ich einiges herausgefunden, das plötzlich schwierig oder zum Risiko wird, wenn mensch etwa alle sechs Monate die Wohnung wechselt (in meinem Fall übrigens durch Mobbing oder weil die Zwischenmiete endete).

 

  1. Besser keine Post abholen

Es stellte sich bei mir erst spät in der ersten Wohnung nach der auf dem Ausweis angegebenen heraus, aber dann war es gravierend: das Postamt, in dem meine Post landete, war nicht glücklich mit meinem vollen amtlichen (ugh) Namen auf dem Ausweis, sie prüften auch die Adresse auf der Rückseite. Nachdem ich die Post am Anfang einfach nicht ausgehändigt bekam und der erste Brief tatsächlich zurück an eine Freundin ging, fing ich an zu lügen: Meine Anmeldung dauert noch, der Termin ist erst nächsten Monat, die Ämter und ihre Terminplanung und alles so voll, Sie wissen schon.
Das funktionierte, aber dadurch war ich natürlich darauf angewiesen, dass die Angestellten bei diesem Postamt mich nicht wiedererkannten. Ich fing an, in aktiv anderen Outfits hinzugehen, mit frisch gefärbten Haaren – und mit einem verdammt mulmigen Gefühl. Ich war zu dem Zeitpunkt nicht nur schwer depressiv, sondern auch ziemlich pleite, und der Gedanke daran, Strafe zahlen und dabei den entsprechenden administrativen Prozess durchlaufen zu müssen, war ein verdammter Albtraum.
Es ging bis zum Ende gut, aber ich wünschte, es wäre nicht nötig gewesen.

  1. Besser kooperative Eltern oder Freund*innen haben

In dieser Zeit habe ich übrigens relativ wichtige Post vom Staatsanwalt bekommen. Die ging natürlich noch an die alte Adresse im Studiwohnheim. Und hier wäre ich verdammt aufgeschmissen gewesen, wenn eine ehemalige Mitbewohnerin, die noch dort wohnte, mir nicht geholfen hätte: Sie hat tatsächlich durchgegeben, wenn etwas für mich ankam und es mich gesammelt abholen lassen oder es mir nachgeschickt. Das hat nur funktioniert, weil die Postaustragenden in der Gegend eher auf die Wohnungsnummer und nicht auf die Nachnamen geschaut haben – und weil ich mit der ehemaligen Mitbewohnerin einfach verdammt großes Glück hatte: sie war super hilfreich und solidarisch, gerade in meinen Problemen mit der Staatsanwaltschaft.
Also, wenn ihr etwas gegen solche Situationen tun wollt: helft euren Freund*innen, wenn ihr irgendwie Zugriff auf die amtliche Adresse habt oder auf die Menschen, die dort wohnen (gerade, wenn der Kontakt zwischen denen und der fraglichen Person schwierig ist).

  1. Besser nie vergessen, dauernd die neue Adresse anzugeben

Dieser Punkt hört sich einfach an, und ich hatte sogar eine Liste mit Versicherungen, Uni-Stellen und anderen Kontakten, denen ich jedes Mal die neue Adresse geben musste, unter der ich erreichbar war. Aber bei schwierigeren Zeiten und ein paar Fehlern auf den anderen Seiten kam es schon auch mal dazu, dass Briefe verloren gingen – dass es keine wichtigen waren, oder amtliche, die mich hätten auffliegen lassen, war ebenfalls Glück.

  1. Besser nie vergessen, wo mensch denn angeblich wohnt

Mir ist es mehrmals passiert, dass ich vor Menschen stand und meine Adresse angeben sollte, und ich dabei war, aber abbrach: es musste ja gerade die amtliche sein. Besonders nach einem gerade erfolgten Umzug von einer ganz anderen Adresse in eine ganz andere Gegend war es schwer, sich zu erinnern. Einen gerade erfolgten Umzug vorschützen konnte ich diesen Behörden gegenüber natürlich auch nicht, und so musste ich mich darauf verlassen, dass sie eine ach so verplante junge Studentin für authentisch hielten (was eben auch scheiße ist und Klischees bedient und ermöglicht).

  1. Besser keinen Ärger in der fremden (eigenen) Wohnung haben

Spätestens bei größerem Ärger wie einem vergessenen Schlüssel steht mensch ohne Hilfe der Hausverwaltung der aktuellen Wohnung (die dann ja nichts davon weiß und den Namen nie erkennen würde) ganz schön allein da. Ich bin tatsächlich auch nicht sicher, wie das zu vermeiden ist – aber kann nur davon abraten, einen random Schlüsseldienst zu beauftragen, dem egal ist, was auf dem Klingelschild steht: denen sind meistens auch Gesetze für Preise ziemlich egal und danach habt ihr zwar eine offene Tür, aber auch ein finanzielles Desaster (und eine nicht existente Firma und verschwundene Arbeitende).
Und: Auch so ist es lästig, zehrend und eklig. Natürlich kontrolliert der Pizzaservice nicht den Ausweis, aber nachdem es zweimal mit c/o nicht geklappt hatte, fühlte ich mich bei der Angabe des Namens am Klingelschild als meinen eigenen schon etwas mulmig (und mensch sollte, mangels der Möglichkeit zur Paypal-Bezahlung, auch besser Bargeld haben). Die ständige Angst, dass Nachbar*innen, bei denen ich ein Paket abhole, doch die Hauptmieterin kennen und nachfragen – und am Ende wissen, dass Untermiete in diesem Haus illegal ist und mich und die Hauptmieterin die Wohnung kosten könnten. Oder angesprochen werden, weil Nachbar*innen mich wiedererkennen, und sich dann wieder und wieder durch Lügen rausreden zu müssen („Nein, ich wohne hier gar nicht dauerhaft, gieße hier nur die Blumen und habe das vor ein paar Monaten schon einmal gemacht, bestimmt haben Sie mich da schon einmal gesehen“) ist auch nicht unbedingt gut für die Mental Health.

  1. Besser nicht Zeug*in für die Polizei sein

Auch das ist ein schwieriger Tipp, denn bei allen Problemen mit der Polizei ist es meiner Meinung nach ganz manchmal gut und wichtig, sich als Zeug*in zur Verfügung zu stellen. Ich habe zweimal meine Daten an die Polizei weitergegeben – nach einem Streit mit rassistischen Beleidigungen und nach einem Fall von häuslicher Gewalt. In beiden Fällen habe ich in Kauf genommen, dass bei einer Kontaktaufnahme durch die Polizei (wenn die Betroffenen sich zu einer Anzeige entscheiden) möglicherweise mein Problem herauskommt. Ich habe abgewogen und das finanzielle Desaster bewusst riskiert. Aber auch das muss mensch sich leider leisten können.

  1. Besser selbst keinen größeren Ärger mit der Polizei haben

Zu guter Letzt: auch eigener Ärger mit den Cops ist echt ein Problem. Wie gesagt, Briefe von zum Beispiel der Staatsanwaltschaft sollten schon jemanden an der angegebenen Adresse haben, der diese Briefe weitergibt – ansonsten solltet ihr vielleicht die Karten auf den Tisch legen, denn ein Vertuschen könnte euch eventuell noch schlechter ausgelegt werden. Unpraktisch ist auch, dass ihr euch (falls ihr, wie ich, der konfrontative Typ Mensch seid) natürlich nicht so viel erlauben könnt wie sonst. Ab einem Vorzeigen des Ausweises und Abgabe der Daten gibt es eben einen neuen problematischen Fall mit dem Zugeben der Situation oder der ständigen Gefahr der Strafe. Zuletzt habe ich mich darüber von Cops wegschicken lassen, als sie sagten, ich nerve und sie würden mir schon irgendetwas anhängen können. Das können sie dann eben, und sie haben damit einen verdammten Vorteil auf ihrer Seite.

 

Ob sich ein Fazit anbietet? Na ja. Besetzt mehr Häuser. Und, wie gesagt, steht euren Freund*innen in diesen Situationen bei, wenn ihr irgendwie könnt. Wenn ihr keine Hilfe bei der amtlichen Adresse anbieten könnt, bietet euer Sofa für Monate ganz ohne Wohnung an (sie sind wahrscheinlich, ich hatte auch zwei davon). Helft bei den ständigen Umzügen, nickt brav, wenn ihr bei einer Diskussion über Adressen und mögliche Ungläubigkeit daneben steht. Muntert die betroffenen Personen auf, trefft euch, lasst sie Kartons oder Sachen in eurem Wohnraum lassen, öffnet diesen Wohnraum zumindest zeitweise (für einzelne Nächte, als Arbeitsplatz, als kostenloser Café-Ersatz) für diese Freund*innen, wenn ihr könnt.

Seid solidarisch!